Paleg statt Hamburg

Unser Foto von heute zeigt drei Stolker Sportschützen (v.li.) als drei leibhaftige Beispiele für den „echten Norden“: Sönke Struck versucht übers Smartphone im Internet über 400 Euro Eintrittsgelder auf einen anderen Termin umzubuchen, während Fred Hagge grundsätzlich überlegt, ob sich eine Weiterfahrt überhaupt noch lohnt, und Heike Mordhorst kurz davor ist, per Handy Autos in Stolk zu requirieren, die die gestrandete Gruppe wenigstens erstmal zurück nach Jübek bringt.

Was war passiert? Die Stolker Sportschützen hatten ihren Tagesausflug nach Hamburg – im Gepäck minutiös getaktete Eintrittskarten für eine neuartige 3d-Sondershow im Miniatur-Wunderland. Froher Dinge parkte man die Autos bei team in Jübek (wegen Bauarbeiten ist am Bahnhof kein Platz), half noch einer ortsfremden Frau, die ohne Stolker Hilfe den Fahrkartenschalter nicht gefunden hätte, und fand Platz im Obergeschoss eines überraschend vollen Zuges gen Hamburg.

In Schleswig blieb er planmäßig stehen, fuhr aber nicht wieder an. Einer saß in Fahrtrichtung und las plötzlich, was für die anderen am rückwärtigen Ende des Waggons viel zu weit weg war: „Endstation Schleswig. Wir bitten alle Fahrgäste auszusteigen und wünschen Ihnen noch einen angenehmen Tag.“

Niemand reagierte, bis der Lesende sagte: „Dreht euch mal um! Da stimmt was nicht.“ Danach wussten alle Bescheid, aber niemand stand auf; denn alle anderen blieben auch sitzen. Schließlich kam die Durchsage: „Kiel hat entschieden, dass der Zug hier endet. Eine Weiche ist defekt. Bitte steigen Sie aus. Dieser Zug fährt zurück nach Flensburg.“

Augenblicke später standen geschätzt über 150 Leute auf dem äußeren Ferngleis in Schleswig, nahezu alle zückten ihr Smartphone und rangen um Infos oder Lösungen, man hörte: „Das war doch letztes Wochenende genau dasselbe!“, und dann stand man ratlos in Erwartung einer Durchsage. Der Zug stand auch noch eine Weile, bis er auf demselben Gleis zurückfuhr, aber niemanden mitnahm. Dass Fahrgäste in Jübek ihre Autos stehen hatten, mit denen sie es vielleicht noch zum nächsten Zug ab Rendsburg oder Neumünster schaffen würden, war im Notfallplan der Bahn nicht vorgesehen.

Leider gab es auch keine Durchsage, ob ein Busersatzverkehr eingerichtet würde; und so kam dann „Plan B“ zur Ausführung: Daheimgebliebene Sportschützen wurden alarmiert und düsten zum Bahnhof nach Schleswig. Als die Minuten verrannen, entschied die Reisegruppe, dass man die Eintrittszeit nicht mehr würde einhalten können, und so ging es zurück über Jübek nach Haus. Aber bevor die Privattaxis eintrafen, wunderten sich die Stolker über einen Ersatzbus aus Rendsburg, der massenhaft Leute gen Norden entließ, aber wegfuhr und offensichtlich keinen Auftrag hatte, die Gestrandeten nach Rendsburg zu bringen.

Dafür halfen sie uniformierten Soldaten, die am Bahnhof ausstiegen in der Hoffnung, nach Süden zu kommen, mit der klaren Ansage: „Lasst euch weiterfahren nach Rendsburg. Ab Schleswig geht gar nichts mehr.“ Anschließend frozzelten sie: „ Stellt euch vor, es ist Krieg, und die Soldaten rücken mit der Bahn ein. Da haben wir verloren.“

Für die Schützen aus Stolk allerdings wurde es zum Gewinn des Tages: Sie ließen sich ins Vereinsheim zurückbringen, organisierten auf die Schnelle Wildbratwurst mit Bärlauch auf dem Gasgrill, hatten sich viel zu erzählen und waren früher zuhaus, als wenn sie in Hamburg gewesen wären.

Allerdings blieb ihnen ein mulmiges Gefühl: Die ganze Nation soll den ÖPNV nutzen. Ob das für alle immer so gut ausgeht wie für die Stolker am 27. August?